Obwohl
nirgendwo Licht war konnte Maria ihr Spiegelbild haargenau erkennen.
Es sah aus wie immer, unversehrt, beschützt. Nur ihre Haut wirkte
blasser. Und ihre Augen, die einmal so leuchteten, verloren nach und
nach ihre Farbe.
Sie
sah an sich herab.
Die
Haut, die vor einer Sekunde noch weich und unberührt aussah wurde
grau und zerfetzte und dort, wo sie nicht zerfetzt war, traten
dunkelblaue Adern hervor. Ihr Gesicht sah plötzlich älter aus, ihre
Lippen beinahe farblos und unter ihren Augen weiteten sich Ringe in
einem dunklen Violett aus. Ihre welligen Haare verloren ihren Glanz
und hingen nur noch leblos an ihr herunter, ihre Nägel wurden rissig
und fast schwarz.
Aber
Maria hatte keine Angst. Es schien ihr normal.
Mit
einem lauten Knall schwang die Tür auf und ihre Mutter hetzte in den
Raum.
Maria
schreckte um. Sie durfte sie nicht so sehen. Schnell griff sie zu
ihrem Bademantel und verdeckte ihren Körper.
Ihre
Mutter starrte sie geschockt an, dann schloss sie ihre Tochter in die
Arme. Sie weinte.
Maria
erhaschte einen kurzen Blick in den Spiegel. Alles sah wieder so aus
wie vorher. „Wo warst du nur? Warum bist du nicht nach hause
gekommen?“
„Ich
weiß nicht“, sagte Maria tonlos. „Die anderen haben gesagt, dass
ich eingeschlafen bin und als ich wieder aufwachte, war es schon so
spät.“
„Aber
wie bist du rein gekommen? Ich war die ganze Zeit unten und habe auf
die gewartet. Ich hätte beinahe die Polizei gerufen, ist dir das
klar?“ Jetzt weinte sie nicht mehr, sondern sah Maria direkt in die
Augen. Ihr Tonfall wurde strenger.
„Ich
habe mich zur Hintertür rein geschlichen. Das Licht war aus und ich
dachte, dass du schon schläfst. Ich wollte dich nicht wecken. Bitte
Mama, ich bin doch hier und ich möchte schlafen. Können wir nicht
morgen darüber reden?“
Prüfend
sah sie Maria von oben bis unten an. Ihr Blick wirkte nachdenklich
„Okay, dann bis morgen“, flüsterte sie mit einem schwachen
Lächeln und verließ den Raum. Das war das Gute an ihr, sie konnte
abwarten. Sie ließ Maria Zeit und Maria wusste, dass sie alle Zeit
der Welt haben würde, denn sie würde nie wieder schlafen können.
Am
nächsten Morgen ging Maria schon sehr früh aus dem Haus, um ihrer
Mutter so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Es funktionierte. Da
war nur ein „Morgen, Mama“ und ein „Viel Spaß in der Schule,
komm aber heute sofort nach hause. Wie müssen reden.“ und noch ein
„Okay.“
Dann
war Maria verschwunden.
Die
Schule ging schnell herum, schneller als damals, als sie noch lebte.
Ihre Freunde wussten nicht, was letzte Nacht geschehen war und am Tag
davor.
Sie
lachten viel und Maria lachte mit und sie fragte sich, was sie früher
daran so lustig fand. Sie fragte sich, wie sie überhaupt für
irgendetwas Gefühle aufbringen konnte.
Nach
dem Unterricht ging sie zurück zum Wald. Sie schrieb eine SMS an
ihre Mutter: Ich bin erst in einer Stunde da. Es ist was dazwischen
gekommen.
Dann
wartete sie bis ein schwacher Wind aufkam. Das war alles um die
Fährte zu ihrem „Grab“ aufzunehmen. Sie musste einfach nochmal
dorthin, vielleicht würde sie etwas finden, was ihr zeigte, warum
das alles passierte.
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